Wissenschaftliche Texte lesen: Wie du Fachliteratur für deine Dissertation richtig sichtest, sortierst und verarbeitest
Ob es dir gefällt oder nicht: Lesen ist DIE Grundlage für wissenschaftliches Schreiben. Über die Lektüre von Fachtexten, Quellen, Studien und Theorien eignest du dir schrittweise das Wissen an, das du später in deinem eigenen Text neu zusammenstellen und weiterentwickeln wirst – das Wissen also, das die Grundlage für deine eigene Forschung darstellt.
Aber bei der Arbeit mit Fachliteratur, bzw. dem Lesen von wissenschaftlichen Texten tauchen ganz oft zwei Herausforderungen auf:
1.) Je komplexer das Thema, desto mehr droht Gefahr, dich über das Lesen immer weiter im Thema zu verirren. Irgendwann erscheint alles interessant, nützlich und wichtig und du siehst den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Wann hast du denn genug gelesen? Wie kannst du Relevantes von Irrelevantem trennen? Und vor allem: wie bringst du diese ganzen Inhalte in deinem eigenen Text wieder sinnvoll zusammen?
2.) Gerade in einem umfangreichen Projekt wie einer Dissertation liegen dazu Lesen und Schreiben oft weit auseinander. Viele Promovierende lesen erst monate- wenn nicht jahrelang, bevor sie sich zum ersten Mal selbst ans Schreiben machen. „Erst muss ich alles über das Thema gelesen und verstanden haben, bevor ich selbst zu schreiben beginnen darf“, sagen sie sich.
Aber wie behält man über einen so langen Zeitraum alles Wesentliche im Kopf? Wie kann man so große Mengen an Informationen verlässlich sichern und zum gegebenen Zeitpunkt tatsächlich wieder abrufen? Wenig überraschend, dass viele wertvolle Inhalte mit der Zeit unbemerkt verloren gehen oder später noch einmal von vorne erarbeitet werden müssen – effizient ist etwas anderes…
Um diese Schwierigkeiten zu meistern – oder gar nicht erst aufkommen zu lassen – ist ein gut überlegter und konstruktiver Umgang mit Fachliteratur essentiell. Wie sich also das Lesen von wissenschaftlichen Texten richtig in deinen Forschungs- und Schreibprozess einbetten lässt, erfährst du hier!
In diesem Artikel zeige ich dir:
- wie dich das wissenschaftliche Lesen durch den gesamten Forschungs- und Schreibprozess deiner Dissertation begleitet,
- warum unterschiedliche Phasen deines Schreibprojekts von unterschiedlichen Lesestrategien begleitet werden sollten
- und wie du es schaffst, deine Literaturberge systematisch zu verkleinern, zu organisieren und für deine eigene Textproduktion vorzubereiten.
Um zu verstehen, welche Strategien für wissenschaftliches Lesen es gibt und wann welche am besten eingesetzt wird, müssen wir zuerst einen Schritt zurückgehen: nämlich zu den Phasen, die du in einem Forschungsprojekt überhaupt durchläufst.
Zu der ganz grundlegenden Frage: Was passiert in deiner Promotion eigentlich wann?
Die Phasen eines Forschungsprojektes
Ein Forschungsprojekt läuft im Wesentlichen nach den folgenden Phasen ab:
Sammeln/Orientieren – Strukturieren – Umsetzen
Konkret bedeutet das:
- Phase 1 „Sammeln/Orientieren“: Du erarbeitest dir erst einmal einen Überblick über ein Themenfeld, über relevante Literatur, Quellen, Theorien oder einschlägige Modelle und sammelst erste Ansätze, die du in deiner eigenen Forschung weiterverfolgen könntest.
- Phase 2 „Strukturieren“: Du grenzt das Forschungsfeld zielgerichtet ein und fokussierst es auf einen Kernpunkt hin. Du entwickelst ein konkretes Forschungsdesign, indem du eine Fragestellung formulierst sowie deinen Untersuchungsgegenstand und dein methodisches Vorgehen festlegst. Wenn möglich, entwirfst du auch schon eine Grobgliederung deines Textes als (provisorischen) Fahrplan.
- Phase 3 „Umsetzen“: Jetzt setzt du dein Vorhaben praktisch in die Tat um. Du führst deine Forschung durch und bringst deine Überlegungen und Ergebnisse zu Papier. Du schreibst den Text deiner Dissertation, arbeitest Anregungen deiner FeedbackgeberInnen ein und bereitest schließlich alles für die Fertigstellung vor.
Ja, ich muss gestehen: die Phasen erscheinen in diesem Schnelldurchlauf etwas straffer und simpler als es in der Regel der Fall sein wird 😉 Arbeitsaufwand, Komplexität und vor allem Dauer der einzelnen Phasen können von Projekt zu Projekt stark variieren.
Und natürlich kann es auch gut sein, dass du im Lauf der Zeit noch einmal in eine frühere Phase zurückkehren musst, um dort punktuell nachzuschärfen – etwa um zu einzelnen Themenaspekten noch weitere Literatur und Quellen zu recherchieren oder um deine Fragestellung zu adaptieren.
Aber hier und jetzt geht es mir um etwas Anderes: Lesen begleitet dich durch diesen gesamten Forschungsprozess.
3 Strategien, wie du wissenschaftliche Texte lesen kannst
Am Anfang deiner Promotion sind es vor allem fremde Texte, die du liest – ab Phase 3 werden es zunehmend auch deine eigenen, bereits verfassten Textteile. Damit wird aber auch eines klar: unterschiedliche Phasen in deinem Schreibprojekt erfordern ganz unterschiedliche Lesestrategien. Mal wirst du einen Text eher überfliegen, mal ganz genau prüfen, mal willst du nur Informationen aus einem Text aufnehmen, mal wirst du sie anschließend in eigenen Worten wiedergeben müssen.
Lesen ist nie gleich Lesen.
Im Folgenden erfährst du deshalb, welche Phase deines Dissertationsprojekts von welcher Lesestrategie begleitet werden sollte und worin sich dein Vorgehen in diesen unterschiedlichen Lesestrategien unterscheidet.
Lesestrategie 1: Orientierendes Lesen
Zu Beginn deines Projekts – in der Phase der Orientierung – willst du möglichst breit Literatur sichten und lesen.
Welche einschlägigen Definitionen, Theorien und Modelle liegen bereits vor? Auf welche Quellen, Daten oder methodischen Umsetzungsmöglichkeiten könntest du dich stützen? Was hängt womit zusammen?
Aus welchen verschiedenen Blickwinkeln könnte man ein Thema beleuchten und bearbeiten?
Ein und dasselbe Themenfeld hält unzählige mögliche Forschungsvorhaben bereit – du wirst erst einmal eine Idee bekommen müssen, welches davon deines sein soll. Deshalb ist auch nicht empfehlenswert, was viele Promovierende zu diesem Zeitpunkt schon tun: jeden einzelnen Text akribisch zu studieren, wichtige Textpassagen zu unterstreichen und vielversprechende Zitate herauszuschreiben.
Du weißt ja noch gar nicht, wohin du mit deinem Projekt (und damit auch mit dem Lesen) überhaupt willst!
Wie willst du jetzt schon erkennen, welcher Satz in einem einzelnen Werk wichtig oder nicht wichtig für deine weitere Forschung sein wird? Vielleicht wird sich dein Untersuchungsvorhaben noch in eine ganz andere Richtung entwickeln und dieser Text wird letztlich gar nicht mehr relevant sein.
Was du in dieser Phase deines Schreibprojekts daher vielmehr tun solltest?
- Erst einmal Ruhe bewahren 😉 Du willst jetzt querlesen und möglichst vielfältige Eindrücke über dein Themenfeld gewinnen. Vieles, was du liest, wird für dein späteres Forschungsprojekt gar nicht relevant sein – aber das wird sich eben erst im Lauf der Zeit zeigen. (Dann trennt sich auch in deinen Literaturbergen die Spreu vom Weizen, versprochen!)
- Bleib dennoch schon jetzt wachsam für vielversprechende Verbindungen und Schwerpunkte, die der Ausgangspunkt für deine eigene Forschung sein könnten. Vielleicht willst du dir ein großes Plakat aufhängen, auf dem du mit Post-its wichtige Begriffe, Fragen und Inhalte sammelst und gruppierst. So verschaffst du dir einen immer solideren Überblick über das Themenfeld und mögliche inhaltliche Schwerpunkte, Linien und Verbindungen.
- Natürlich kannst (und solltest!) du dich auch schon jetzt in geschriebener Form mit der Fachliteratur, den Quellen und deinen Eindrücken dazu auseinandersetzen – aber ohne den Anspruch, dabei schon verbindlichen Text für deine Dissertation als solche zu produzieren! Jetzt geht es erst einmal darum Ideen zu sammeln und weiterzuentwickeln, inhaltliche Assoziationen herzustellen und vielversprechende Lücken aufzudecken, mit anderen Worten: das Themenfeld immer besser zu verstehen und zu durchdringen. Nutze am besten dein Forschungsjournal als Raum, um dein wachsendes Wissen zu sammeln und mit Intention weiterzuentwickeln (in dem Zusammenhang empfehle ich dir gerne meinen Artikel: Wie du mit einem Forschungsjournal deine Doktorarbeit optimal ausrichtest). Auch wenn du dir jetzt erst einmal einen Überblick über dein Thema verschaffst, wirst du sehen: der eine oder andere Text, der hier entsteht, WIRD später auch direkt in deine Dissertation einfließen können.
- Dazu solltest du dir schon jetzt zu jedem gelesenen Werk eine kurze schriftliche Dokumentation anlegen. Hier fasst du in wenigen Sätzen zusammen, worum es in diesem Text geht und wie dieser Text mit anderen Inhalten, die dir schon bekannt sind, zusammenhängt. Was hast du zu diesem Thema sonst schon gelesen? Bringt dieser Text dazu neue Anregungen und Ansätze? Vertritt der/die AutorIn eine ganz eigene Meinung zu einer bestimmten Frage? Was ist das Besondere an diesem Text?
Mit diesen Schritten erschließt du dir schrittweise und auf nachvollziehbaren Wegen dein Themenfeld so, dass du am Ende der Phase „Orientierung“ zuversichtlich und selbstbewusst in Phase 2 des Forschungsprozesses eintreten kannst: in das Strukturieren und Konkretisieren deines Forschungsvorhabens.
Und hier kommt auch eine neue Lesestrategie ins Spiel…
Lesestrategie 2: Kursorisches Lesen
Du hast die Phase des Orientierens und Ideen-Sammelns hinter dir gelassen und entwickelst nun einen Plan, worum es in deiner Dissertation konkret gehen soll.
Du legst eine geeignete Forschungsfrage und ein vielversprechendes Untersuchungsziel fest, kennst die Quellen, mit denen du arbeiten wirst und entscheidest dich für ein methodisches Vorgehen – kurzum: dein Forschungsdesign und auch dein Textprojekt „Dissertation“ beginnen erste Form anzunehmen.
Du verlierst dich gefühlt von Tag zu Tag mehr in deinem eigenen Dissertationsprojekt? Keine Panik!
Mit meinem bewährten 3-SCHRITTE-PLAN konzipierst du ein Forschungsvorhaben, das auf das Wesentliche fokussiert UND zielgerichtet umsetzbar ist!
Jetzt geht es auch beim Lesen eine Stufe tiefer.
Anders als noch beim orientierenden Lesen setzt du jetzt nämlich eine prüfende Brille auf. Du weißt nun ja schon, worauf du dich in deiner Forschung konzentrieren willst – und kannst die Fachliteratur entsprechend eingrenzen und zuordnen.
Am besten nimmst du dir dafür die Werke, die du bereits in Phase 1 gesichtet und durchgesehen hast, sowie deine dazu erstellten Dokumentationen nun nochmals zur Hand. Welche Werke sind für deine aktuelle Themeneingrenzung und -fokussierung weiterhin relevant? Was wirst du wirklich brauchen?
Darauf solltest du beim kursorischen Lesen – dem zweiten und bereits etwas genaueren Lesedurchgang – achten. Jetzt geht es nämlich darum aussortieren, welche Titel du tatsächlich für deine Arbeit benötigen wirst und welche du getrost wieder beiseitelegen kannst.
Viele Werke, die du in Phase 1 sondiert und gelesen hast, werden jetzt wegfallen. Aber du wirst auch merken, zu welchen Inhalten du noch gezielt Literatur recherchieren musst.
Entsprechend einer ersten Grobgliederung deiner Arbeit kannst du jetzt auch schon planen, wo bestimmte Inhalte und Werke in deinen eigenen Text einfließen sollen. In welchem Kapitel deiner Arbeit wird es konkret um das Thema gehen, das in Artikel X oder Buch Y behandelt wird?
Am Ende von Phase 2 – dem Konkretisieren und Strukturieren deines Forschungsprojekts – solltest du also:
- die bereits gelesene Literatur grob den verschiedenen Kapiteln oder Papers deiner Dissertation zugeordnet haben und
- wissen, in welche Themenbereiche du dich noch weiter vertiefen und zusätzliche Literatur recherchieren musst.
Mit dieser strukturierten Vorbereitung der Literatur hast du nämlich alles parat, um die einzelnen Kapitel oder Papers deiner Dissertation tatsächlich zu schreiben.
Im Zuge dessen trittst du in die dritte Phase des Forschungsprozesses, die tatsächliche Umsetzung deines Projekts, ein – und damit auch in eine neue Phase des Lesens.
Lesestrategie 3: Detailliertes Lesen
Jetzt – und in Wahrheit erst jetzt – ist es sinnvoll, Fachliteratur so genau zu lesen und zu bearbeiten, dass du das Gelesene in eigenen Worten wiedergeben und für die Verarbeitung in deinem eigenen Text aufbereiten kannst. Soll heißen: ja, du darfst endlich den Textmarker zücken und dich für die ersten Textexzerpte bereit machen!
Anstatt nämlich deine Zeit mit der akribischen Analyse von Fachtexten zu verschwenden, von denen du letztlich nur 3 Sätze für deine eigene Arbeit benötigen wirst, hast du in den ersten Phasen deines Projekts systematisch die Literatur zu deinem Thema gesichtet und schrittweise eingegrenzt.
Du hast Literatur thematisch kategorisiert und den verschiedenen Kapiteln deiner Arbeit zugeteilt. Jetzt weißt du, in welchem Kapitel deines Textes ein bestimmtes Werk relevant sein wird und kannst gezielt jene – und nur jene! – Inhalte daraus extrahieren, die du hier und jetzt tatsächlich benötigen wirst.
Was nun jedenfalls beim Schreiben deines eigenen Textes passieren wird, ist magisch: anstatt eines lieblos aneinander gereihten Flechtwerks aus Exzerpten und Fremdzitaten (in dem kein Leser mehr versteht, was du eigentlich aussagen wolltest), verfolgt dein Text einen klar erkennbaren roten Faden. Fachliteratur wird dort eingefügt, wo sie einen inhaltlichen Mehrwert bietet – und nicht nur, um pflichtbewusst darzulegen: „Seht her, was ich alles gelesen habe!“
Auch wenn du es nämlich anders empfindest: du bist es keinem Fachtext dieser Welt schuldig, ihn in deine Arbeit einzubinden, wenn er dort keine inhaltliche Daseinsberechtigung hat.
Und diese Daseinsberechtigung, die kannst nur du als AutorIn erteilen: indem DU eine inhaltliche Linie für deinen Text entwickelst und erst DANN Fremdtexte entsprechend einbettest.
Genau den Weg dorthin schaffst du mit den hier gezeigten Schritten und Lesestrategien für wissenschaftliche Texte!
Du könntest noch Unterstützung bei der praktischen Umsetzung gebrauchen?
Die Arbeit mit wissenschaftlichen Texten – vor allem das Verknüpfen von Fachliteratur mit dem eigenen Text – bereitet vielen Promovierenden Kopfzerbrechen, das weiß ich!
Deshalb habe ich dieser Herausforderung in „Forschung schreiben“, meinem Online-Schreibkurs für Promovierende, ein eigenes Modul gewidmet. Dort erfährst du Schritt für Schritt, wie du die Fachliteratur, die du recherchiert hast, zielführend weiterverarbeitest. Du lernst, wie du Fachtexte detailliert liest, ihre wirklich relevanten Inhalte herausziehst und diese wissenschaftlich sauber mit deinem eigenen Text verknüpfst.
Wenn du also gerade mit dem Literaturteil deiner wissenschaftlichen Arbeiten kämpfst, komm unbedingt auf meine Newsletter-Liste – dort erfährst du als eine/r der Ersten, wenn der Kurs das nächste Mal in den Verkauf geht!