Forschen und Schreiben in der Promotion: In welcher Reihenfolge die Kapitel einer Dissertation geschrieben werden sollten
„Es stresst mich, dass mein Dissertationsprojekt so groß ist und ich gar nicht weiß, wie und womit ich überhaupt anfangen soll.“
Kennst du dieses Gefühl?
Kein Wunder!
Beim Schreiben einer Dissertation fließen schließlich verschiedenste Prozesse zusammen, die du als WissenschaftlerIn laufend koordinieren musst: Recherchieren, Denken, Ordnen, Organisieren, Lesen, Schreiben, Analysieren, Präsentieren und noch vieles mehr.
Um all diese Prozesse effektiv aufeinander abzustimmen, braucht es Klarheit darüber, wie sie in der Praxis eines Forschungsprojekts tatsächlich miteinander zusammenspielen.
Was passiert beim Schreiben deiner Dissertation eigentlich wann? Welchen Textteilen solltest du dich gleich zu Beginn widmen, was kommt erst später an die Reihe? Und wie schaffst du es, dass du dich beim Schreiben nicht gleichzeitig mit zu vielen Baustellen übernimmst?
In diesem Artikel wollen wir einen zentralen Aspekt dieser komplexen Frage(n) einmal genauer beleuchten, nämlich das Zusammenspiel von Forschungsprozess und Schreibprozess in der Promotion, damit du verstehst, in welcher Reihenfolge die Kapitel einer Dissertation (nicht) geschrieben werden sollten 😉
Ich zeige dir hier,
- welche Aufgaben jeweils zum Forschungsprozess und zum Schreibprozess gehören
- wie Forschen und Schreiben in der Promotion produktiv ineinanderfließen
- und welche Kapitel deiner Arbeit vor diesem Hintergrund WANN Priorität haben sollten.
1. Welche Aufgaben gehören zum „Forschungsprozess“, welche zum „Schreibprozess“?
Um in das Thema einzutauchen, müssen wir uns zuerst einmal ansehen, was sich überhaupt hinter dem Forschungs- bzw. dem Schreibprozess einer Dissertation verbirgt und welche Aufgaben hier für dich als PromovendIn anfallen werden.
Im Rahmen des Forschungsprozesses erarbeitest du für dich selbst das nötige Wissen und die Erkenntnisse, die du in deiner Arbeit präsentieren wirst. Du recherchierst, liest und stellst bereits vorliegendes Wissen zu einem Thema zusammen. Du legst fest, wie du dazu mit einem eigenständigen Forschungsprojekt noch Wertvolles beitragen kannst, unter anderem, indem du eine Forschungsfrage entwickelst und dein Forschungsvorhaben planst. Du erhebst und analysierst Quellen oder Daten. Und leitest daraus zuletzt ein (hoffentlich überzeugendes) Fazit als Antwort ab.
Der Schreibprozess bildet – vereinfacht gesagt – diese Entwicklung als Text ab.
Du trittst hier also heraus aus der Rolle „ForscherIn“ hinein in die Rolle „VermittlerIn“ und machst nun auch für andere nachvollziehbar, welchen Weg du mit deinem Forschungsprojekt zurückgelegt hast (oder nach wie vor zurücklegst) und was sich daraus an Aussagen, Erkenntnissen und Antworten ableiten lässt.
Wir halten also einmal fest: beim Forschen und Schreiben setzt du dich grundsätzlich mit den gleichen Fragen und Inhalten auseinander. ABER du tust das aus unterschiedlichen Perspektiven (ForscherInnenperspektive vs. AutorInnenperspektive) und mit einer unterschiedlichen Zielsetzung.
2. Wie sind Forschungsprozess und Schreibprozess in der Dissertation miteinander verknüpft – und welche Hürden kann diese Verknüpfung mit sich bringen?
Um das spezielle Zusammenspiel von Forschungsprozess und Schreibprozess zu verdeutlichen, ziehe ich gerne die Metapher eines Mannes heran, der mit seinem Hund spazieren geht.
Beide starten am gleichen Punkt und brechen zu einem gemeinsamen Ziel auf.
Während der Mann (der Forschungsprozess) kontinuierlich den Weg entlang schreitet, läuft der Hund (der Schreibprozess) immer wieder ein wenig voraus und ein wenig zurück. Er erschnüffelt schon Teile des Weges, die der Mann noch gar nicht beschritten hat. Mitunter läuft er auch wieder Teile der Strecke zurück, die der Mann bereits vor längerem hinter sich gebracht hat.
Es macht nichts, dass Mann und Hund nicht jeden Meter des Weges Seite an Seite zurücklegen. Weder muss der Mann seinen Hund sklavisch an sich gefesselt halten, noch muss er ihm auf jedem Meter des Weges hinterherrennen.
Spätestens, wenn der Mann am Ende des Weges angelangt ist, seinen Hund zu sich pfeift und ihm damit signalisiert, dass ihr Spaziergang nun zu Ende ist, werden sie gemeinsam im Ziel ankommen.
Genau so verhalten sich Forschungsprozess und Schreibprozess zueinander.
Auch Forschen und Schreiben sind in einem Dissertationsprojekt nämlich nicht so untrennbar aneinander gekettet, wie du es vielleicht erwarten würdest. Mit anderen Worten: dein Schreibprozess kann und muss nicht immer zeitgleich abbilden, welche Phase des Forschungsprozesses du gerade durchläufst!
Sehen wir uns doch einmal an, warum das so ist – und welche Stolpersteine in deinem Projekt drohen, wenn du Forschen und Schreiben zu eng aneinanderkoppelst.
Dein Forschungsprozess orientiert sich in der Regel an vier Phasen eines Projekts und erarbeitet diese schrittweise:
- Phase 1: Zuerst verschaffst du dir einen groben Überblick über ein Themenfeld und entwickelst eine vielversprechende Fragestellung und Vorgehensweise für dein Projekt.
- Phase 2: Anschließend setzt du dich intensiver mit dem Stand der Forschung auseinander und erarbeitest dir so tiefergehendes Verständnis über das Thema und was dazu bereits vorliegt.
- Phase 3: Anschließend präzisierst du dein eigenes Forschungsvorhaben und setzt es in die Tat um – das heißt, du führst deine konkreten Analysen oder Erhebungen und Auswertungen durch.
- Phase 4: Zuletzt leitest du aus all dem ab, was sich anhand der von dir durchgeführten Untersuchungen nun abschließend festhalten und aussagen lässt.
Später, im fertigen Text deiner Arbeit wird sich diese Herangehensweise mehr oder weniger in der gleichen Form wiederfinden:
- Einleitung: In der Einleitung zeigst du deinen LeserInnen auf, welche Zielsetzung du mit deinem Projekt verfolgst und warum diese Untersuchung im Kontext des übergeordneten Fachbereichs überhaupt relevant und wichtig ist.
- Theorie: Im Theorieteil stellst du die Forschungslandschaft, die zum Thema bereits vorliegt, in groben Zügen dar.
- Forschung: Im Teil deiner eigenständigen Forschung (Methodik und Ergebnisse bzw. Analyse) zeigst du auf, was DU nun aus der Bearbeitung eines bestimmten Untersuchungsmaterials an neuen Erkenntnissen gewinnen konntest.
- Fazit: Im Fazit rundest du deine wesentlichen Aussagen und Implikationen, die sich daraus ableiten lassen, ab.
(Im Blogbeitrag Der richtige Aufbau einer Dissertation: Welche Abschnitte jede Doktorarbeit enthalten muss erfährst du noch mehr zum idealen Aufbau und der Gesamtgliederung einer Dissertation.)
Der Forschungsprozess durchläuft also im Wesentlichen dieselbe Abfolge an inhaltlichen Schritten und aufeinander aufbauenden Entwicklungen, wie sie auch künftige LeserInnen deines Textes durchlaufen werden: von der Einführung ins Thema bis hin zur abschließenden Conclusio.
So weit, so gut.
Holprig wird es nun aber, wenn du den gleichen Ablauf auch deinem Schreibprozess überstülpst. Wenn du also die Kapitel deines Dissertationstextes ebenfalls in exakt dieser Reihenfolge zu Papier bringen willst, das heißt bei der Einleitung beginnen und beim Fazit enden willst.
Warum das so problematisch ist?
Um einzelne Kapitel deines Textes zielgerichtet konzipieren und schreiben zu können, benötigst du oft wichtige inhaltliche Entscheidungen als Grundlage. Du benötigst Klarheit darüber, was du an einer betreffenden Stelle des Textes wirklich aussagen willst und wie sich vielfältige Inhalte und Darstellungen im Gesamttext letztlich aufeinander beziehen werden.
Und genau diese Klarheit fehlt dir oft noch, solange du erst mittendrin im Forschungsprozess steckst!
Zu vielen inhaltlichen oder strukturellen Fragen deiner Forschung und deines Textes kannst du nicht von Anfang an verbindliche Entscheidungen treffen, denn diese werden sich erst mit der Zeit und aus dem praktischen Tun heraus klären.
Versuchst du also deine Dissertation strikt in der Kapitelreihenfolge Einleitung – Theorie – Eigenständige Forschung – Fazit niederzuschreiben, wirst du hier fast unweigerlich auf Probleme stoßen.
Vielleicht kommen ja auch dir einige der untenstehenden Zweifel und Sorgen bereits bekannt vor:
Du haderst während des Schreibens immer wieder mit Fragen wie „Worauf muss ich mich denn in diesem Textteil wirklich konzentrieren, was kann ich weglassen?“.
Du hast das Gefühl, nie wirklich verlässliche Entscheidungen in deinem Text treffen zu können und alle paar Monate die Gliederung einzelner Kapiteln wieder über den Haufen werfen zu müssen.
Auch in Textteile, die nach langer Arbeit endlich fertiggestellt scheinen, musst du im Lauf der Zeit noch mehrmals wieder hineingehen, um nachzuschärfen, zu ergänzen oder zu korrigieren, nämlich jedes Mal, wenn sich dein Projekt inhaltlich weiterentwickelt hat und neue Perspektiven oder Erkenntnisse hinzugekommen sind. Du fühlst dich – trotz deines intensiven Zeit- und Arbeitseinsatzes – beim Schreiben immer wieder gefühlt an Punkt Null zurückgeworfen.
Du verlierst dich gefühlt von Tag zu Tag mehr in deinem eigenen Dissertationsprojekt? Keine Panik!
Mit meinem bewährten 3-SCHRITTE-PLAN konzipierst du ein Forschungsvorhaben, das auf das Wesentliche fokussiert UND zielgerichtet umsetzbar ist!
3. Wie du Forschungsprozess und Schreibprozess in der Dissertation optimal aufeinander abstimmst
Um genau dieses Problem zu vermeiden, ist es empfehlenswert, deinen Forschungs- und Schreibprozess umsichtiger aufeinander abzustimmen. Und das ist gar nicht mal kompliziert!
Die Lösung liegt ganz einfach darin, den Text deiner Dissertation in einer anderen Reihenfolge zu Papier zu bringen, als du die dahinterliegenden Schritte des Forschungsprozesses durchläufst. Du bringst die einzelnen Kapitel also erst dann in Textform, wenn der dahinterliegende Forschungsprozess dafür tatsächlich weit genug vorangeschritten ist.
Kurz gesagt bedeutet das: Einleitung und Theorieteil sollten – auch wenn sie für deinen Forschungsprozess elementare Grundlage sind – NICHT zu Beginn deines Projekts verschriftlicht werden! (Hui, das kam jetzt überraschend, oder?!)
Um in diesen Textteilen verlässliche Entscheidungen treffen zu können (Was nehme ich alles mit rein? Wo verzettle ich mich in Nebensächlichkeiten? Wo ziehe ich Grenzen und lasse Inhalte weg?) benötigst du zuerst Klarheit darüber, was deine eigenständige Forschung überhaupt hergibt.
Und das kannst du nicht wissen, solange du sie nicht umgesetzt hast.
Um vor diesem Hintergrund den Forschungs- und Schreibprozess in deinem Projekt richtig aufeinander abzustimmen, habe ich zwei praktische Tipps für dich mitgebracht:
Tipp #1 Beginne mit der Methodik
Widme dich im Schreibprozess zuallererst jenen Textteilen, deren Inhalte du schon jetzt kennst und fixieren kannst. In der Regel wird es deshalb am sinnvollsten sein, zuallererst deine Methodik zu verschriftlichen. Du kennst schließlich den praktischen Zugang bereits, den du in der Zusammenstellung, Erhebung, Analyse bzw. Auswertung deines Untersuchungsgegenstandes verfolgst oder verfolgen willst und kannst diesen daher auch bereits relativ früh zu Papier bringen.
Anschließend empfehle ich dir, die entsprechende empirische oder analytische Arbeit tatsächlich in die Tat umzusetzen und daran anschließend das Ergebnis- oder Analysekapitel zu schreiben. Was hat deine Forschung nun geliefert? Was hat sich aus deinen Untersuchungen konkret zeigen und darstellen lassen?
Das Wissen darüber ist essentielle Grundlage, um im Anschluss daran seriös an deinem Theoriekapitel, dem Fazit und zuletzt der Einleitung arbeiten zu können.
Tipp #2 Verwende ein Forschungsjournal
Wahrscheinlich fragst du dich nun gerade stirnrunzelnd, wie du denn deine eigenständige Forschung umsetzen sollst, ohne zuvor das nötige Wissen über die ihr zugrundeliegenden Forschungslandschaft erarbeitet zu haben. Ist das nicht total unseriös?!
Ja, diesen Schritt darfst du natürlich nicht einfach überspringen! (Du erinnerst dich: im Forschungsprozess widmest du dich diesen Grundlagen ja tatsächlich als erstes – sie sind die Ausgangsbasis deines gesamten Projekts!)
ABER – und das ist wichtig zu verstehen! – es ist ein riesiger Unterschied, ob du dich in den Forschungsstand zu einem Thema einarbeitest und daraus relevante Lücken und Forschungsdesiderate identifizierst, oder ob du all das gleich ausgefeilt bis zur letzten Fußnote zu verschriftlichen versuchst!
Aus schreibdidaktischer Sicht empfehle ich deshalb, erst einmal in einem Forschungsjournal zu sammeln, welche wichtigen Fragen, Begriffe, Konzepte, Theorien oder Diskurse für dein Projekt relevant sind und herauszufinden, wie diese miteinander in Verbindung stehen (könnten). Du entwickelst – erstmal nur für dich, aber gerne schon schriftlich – deine Ideen und Zugänge zu deinem Thema – ohne etwas davon schon hier und gleich in eine verbindliche Textform zwängen zu müssen. (Wertvolle Tipps für das Führen eines Forschungsjournals findest du im Blogbeitrag Wie du mit einem Forschungsjournal deine Doktorarbeit optimal ausrichtest.)
Diese inhaltliche Ausrichtung und Schwerpunktsetzung bleibt stetig in Bewegung und wird sich mit der Zeit immer wieder neu verlagern. Es werden Themenaspekte hinzukommen, die du bisher noch kaum auf dem Schirm hattest. Es werden Themenaspekte an Wichtigkeit verlieren, weil sich dein Projekt doch in eine etwas andere Richtung verschoben hat.
Kein Problem – vorerst reicht es, diesem work in progress zu folgen, ihn immer wieder zu überprüfen und gegebenenfalls etwas neu zu strukturieren. Du legst Mind-Maps an, machst dir Notizen, du sammelst und kategorisierst Literatur zu verschiedenen Themenaspekten und ähnliches mehr.
So stellst du sicher, dass du keine wichtigen Überlegungen, Verknüpfungen und Inhalte aus dem Blick verlierst – aber behältst dir noch offen, was von all dem letztlich wirklich in deinem Text wird landen müssen und wie du es dort präsentieren wirst.
Wenn du dann so weit bist, dich wirklich ans Schreiben der entsprechenden Kapitel zu machen, wirst du nämlich sehen, wie viel inhaltliche Klarheit du in der Zwischenzeit bereits gewonnen hast.
Viele offene Fragen werden sich im Hintergrund nun längst geklärt oder aufgelöst haben. Aus der Gegenüberstellung mit deinen konkreten Untersuchungen wirst du ein klareres Bild gewonnen haben, worum es in deinem Projekt wirklich geht und was du deinen LeserInnen dafür unbedingt aufzeigen und verständlich machen musst.
In das Schreiben der beiden oft herausfordernden Textteile „Einleitung“ und „Theorie“ gehst du nun mit einem geschärften Blick und dem Vertrauen, dass du dein eigenes Projekt bereits vollumfänglich kennst und durchblickt hast.
Und genau damit verbindest du letztlich die zwei wohl elementarsten Prozesse in deinem Dissertationsprojekt – Forschung und Schreiben – wirklich fruchtbar miteinander.