3 kuriose Schreibtechniken für wissenschaftliche Texte, die du nutzen solltest
Denkt man an wissenschaftliches Schreiben oder noch konkreter an das Schreiben einer Dissertation, kommt den wenigsten der Begriff „Kreativität“ in den Sinn. Dabei sind wissenschaftliches Arbeiten und Kreativität in Wahrheit eng miteinander verknüpft.
Unter Kreativität lässt sich die Fähigkeit verstehen, in innovativer, gestalterischer Form zu denken und damit Neues zu erschaffen.
Und genau so müssen auch WissenschaftlerInnen kreativ an Themen und Fragestellungen herangehen, um aus bereits Bekanntem Neues und Innovatives zu schaffen.
Vor diesem Hintergrund liegt es nur nahe, beim wissenschaftlichen Schreiben auch bewusst Techniken zu nutzen, die kreative Gedanken freisetzen, das Unterbewusstsein aktivieren und so einen wirklich innovativen Forschungsprozess ermöglichen.
- In diesem Artikel zeige ich dir deshalb 3 kuriose Schreibmethoden aus dem Bereich des Creative Writing, die auch du in der Arbeit an deinen wissenschaftlichen Texten nutzen solltest!
Schreibtechnik 1: Clustering
Die Arbeit an beinahe jedem (wissenschaftlichen) Text beginnt bei mir mit einem Clustering. Noch nie davon gehört? Dann erzähl ich dir gleich mal, was Clustering ist und wie es funktioniert.
Clustering ist eine Brainstorming-Methode und geht auf Gabriele Rico zurück, die die Technik in den 1980-er Jahren entwickelte.
Auf den ersten Blick hat Clustering Ähnlichkeit mit Mind Mapping. In beiden Methoden wird ein Kernwort in die Mitte eines Blattes geschrieben – und anschließend zu diesem Kernwort Begriffe und Gedanken assoziiert.
Während ein Mind Map allerdings klar strukturiert und hierarchisiert angelegt wird (in Form von Hauptästen, die sich in Nebenäste aufgliedern), verzichtet das Clustering bewusst auf diese Hierarchisierung oder Sortierung von Gedanken.
Stattdessen notierst du in einem Clustering einfach einmal alles, was dir zu einem Kernbegriff in den Sinn kommt. Die einzelnen Einträge werden durch Striche miteinander verbunden, damit du selbst später nachvollziehen kannst, welcher Begriff welche nächste Assoziation mit sich gebracht hat. So verfolgst du einen Gedankenstrang bis zu einem Punkt, an dem dir nichts mehr einfällt.
Anschließend setzt du erneut beim Kernbegriff an und siehst, welche Gedanken, Impulse und Assoziationen als Nächstes auftauchen wollen.
Klingt erstmal simpel – vielleicht sogar schon ZU simpel, um damit große Ideen und Erkenntnisse anzustoßen.
Die Magie von Clusterings entfaltet sich aber, wenn du dich auf den gedanklichen Prozess wirklich einlässt.
Soll heißen: es gibt keine „richtigen“ oder „falschen“ Notizen. Welcher Begriff dir zu welchem Zeitpunkt in den Sinn kommt und ob er dir zum Thema passend erscheint, ist nicht relevant. Du schreibst ihn einfach hin und bleibst offen, welcher Begriff dir als Nächstes in den Sinn kommt.
Dein Unterbewusstsein benötigt vielleicht vermeintlich wirre oder unpassende Assoziationen, um sich durch komplexe Zusammenhänge zu wühlen. Es wird dir vielleicht den einen oder anderen Gedanken schicken, der scheinbar nichts mit dem Rest zu tun hat. Es wird vielleicht nochmals zu Gedanken zurückkommt, die schon einmal in deinem Clustering aufgetaucht waren.
Egal, du hältst alles einfach mal fest und bildest die Gedanken- und Assoziationskette ab, die dein Gehirn ausspuckt – ganz ohne Wertung, Eingriff oder Korrektur.
Wenn du diesen Prozess nämlich mit einer offenen Haltung durchläufst, passiert nach wenigen Minuten etwas ganz Besonderes: der Nebel um das Thema, zu dem du clusterst, beginnt sich zu lichten.
Du spürst das vielleicht daran, dass dir plötzlich ein ganz konkreter Satz in den Sinn kommt, den du aufgreifen kannst, um damit ins Schreiben zu diesem Thema einzusteigen – vielleicht der erste Satz für das Kapitel oder Paper an dem du arbeitest.
Vielleicht spürst du es auch daran, dass plötzlich eine Formulierung in deinem Clustering auftaucht, zu der du denkst „Ja stimmt, DARUM geht es in Wahrheit!“
Vielleicht ist dir plötzlich glasklar, welche ausgewählten Aspekte zu einem Thema du beim Schreiben berücksichtigen musst und wie du in der Arbeit an deinem Text vorgehen musst.
Du wirst sehen, wie aktiv dein Hirn dich beim Gedanken- und Erkenntnisprozess unterstützt, wenn du ihm diesen Raum gibst und einfach mal nur unzensiert zuhörst, was es dir bereits liefern will.
Ich selbst habe es jedenfalls noch nie erlebt, dass ich aus einer Clustering-Session OHNE greifbares Ergebnis herausgegangen wäre. Und falls du dich jetzt fragst, wie lange das denn dauert: in der Regel 5-10 Minuten, nicht länger.
Da gibt es keine Ausrede, es nicht mal selbst auszuprobieren 😉
Du willst deinen ganz individuellen Schreibtyp als WissenschaftlerIn herausfinden und den Schreibprozess deiner Dissertation von nun an mit Leichtigkeit meistern?
Schreibtechnik 2: Die erste Version eines Textes mit weißer Schriftfarbe schreiben
Einer der größten Störfaktoren beim Schreiben ist der Impuls, unmittelbar in gerade erst entstandene Textteile einzugreifen und sie zu überarbeiten.
Sei es vielleicht, weil dir eine Formulierung blöd vorkommt und du sie sofort durch eine bessere ersetzen willst. Sei es, weil du eine Information unbedingt überprüfen und verifizieren willst, bevor du an deinem Text weiterschreibst.
Das Resultat davon ist aus schreibdidaktischer Sicht immer dasselbe: ein unterbrochener, stockender und kräftezehrender Schreibfluss.
Gerade wenn es also um das Verschriftlichen von komplexen, wissenschaftlichen Gedankenzusammenhängen geht, wollen wir solche Unterbrechungen und Hindernisse im Schreibprozess vermeiden. Denn sie machen nicht nur uns als AutorInnen das Schreiben unnötig schwer, sondern führen in der Regel auch zu holprigeren und damit schlechter lesbaren Texten.
- In meinem Blogbeitrag „Wie du anfängst deine Dissertation zu schreiben“ erfährst du mehr darüber, warum das so ist.
Und ich weiß auch selbst nur allzu gut: es kann schwer sein, diese laufenden Eingriffe in den eigenen Text zu unterbinden. Viele von uns sind diese Art des Stop-and-Go-Schreibens so gewöhnt, dass wir dem Impuls des parallelen Überarbeitens kaum widerstehen können – selbst wenn wir wissen, dass es besser wäre, ihn auf später zu verschieben.
Da braucht es radikale Methoden!
Die für mich effektivste ist, die Schriftfarbe am Computer während des Schreibens auf „weiß“ zu stellen.
Keine Sorge: mit großer Wahrscheinlichkeit schreibst du routiniert genug am Computer, dass du die richtigen Tasten auch triffst, selbst wenn du den Text, der gerade entsteht, nicht mitlesen kannst.
Und klar, es werden sicher auch viele Tippfehler passieren.
Aber das ist egal – Tippfehler sind innerhalb weniger Minuten korrigiert!
Viel wichtiger ist, dass du dich jetzt während des Schreibens wirklich darauf einlässt, was du in deinem Text aussagen willst. Worum es dir hier inhaltlich geht. Welche zentralen Aussagen und Gedanken du in diesem Textabschnitt transportieren willst.
Mit dem Wissen, dass du in den bereits geschriebenen Text (für den Moment) nicht mehr eingreifen kannst, löst du dich leichter von dem Drang, schon während des Schreibens zu überarbeiten.
Und schneller als du vielleicht erwarten würdest, stellt sich dann eine Form von Entspannung und Fokus ein.
Mit diesem kleinen Trick schaffen es auch ausgewiesene Überarbeitungs-Freaks, ihren inneren Editor in den Hintergrund zu rücken und erst einmal ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen.
Ist ein in sich geschlossener Gedanke, ein in sich geschlossenes Argument auf diesem Weg in einer Rohversion zu Papier gekommen, ist es natürlich auch wieder an der Zeit, die Schriftfarbe zurück auf Schwarz zu stellen und den entstandenen Text zu überarbeiten und zu verbessern.
Gerade also, wenn du immer wieder zu lange beim Schreiben neuer Textteile hängst, empfehle ich dir, diesen Trick einmal auszuprobieren!
Schreibtechnik 3: Serielles Schreiben
Es gibt Momente im Schreibprozess, da wissen wir einfach nicht weiter.
Wir haben uns zwischen verschiedensten Ideen und Richtungen verrannt und wissen gar nicht mehr, worauf wir mit unserem Text eigentlich hinauswollten.
Oder wir stehen vor einer gefühlt undurchdringlichen Wolke an Fragen und haben keine Idee, wie wir sie alle sinnvoll aufarbeiten sollen. Und welche davon jetzt wirklich wichtig sind.
Für genau solche Situationen empfehle ich „Serielles Schreiben“.
Die Technik hat ihren Ursprung im therapeutischen Schreiben, aber kann auch in der Arbeit an wissenschaftlichen Texten Wunder wirken.
Beim Seriellen Schreiben wird ein vorgegebener Satzanfang immer wieder vervollständigt – mit dem jeweils ersten Gedanken, der dir in diesem Moment in den Sinn kommt. Sobald der Satz zu Ende geschrieben ist, schreibst du den Satzanfang von Neuem und vervollständigst ihn wieder. So verfährst du mindestens 20x, besser noch öfter.
Richtig oder falsch gibt es hier nicht – ähnlich wie beim Clustering, das ich dir weiter oben vorgestellt habe – geht es auch beim Seriellen Schreiben einfach mal nur darum, gedankliche Prozesse abzubilden und greifbar zu machen – ohne sie im selben Moment schon zu werten, zu filtern oder zu sortieren.
Lässt du dich richtig auf die Übung ein, entsteht so ein buntes Bild über deine Perspektiven und Gedanken zu einem Thema, die du anschließend strukturiert evaluieren und weiterverarbeiten kannst.
Auch diese Methode ist also großartig geeignet, um dein Unterbewusstsein zu aktivieren und es in deinen Forschungsprozess zu integrieren.
Meine liebsten Satzanfänge für Serielles Schreiben sind übrigens:
- Was mir noch unklar ist …
- Mich blockiert im Moment …
- Was ich eigentlich sagen will, ist …
So, das waren sie: meine drei bewährtesten – wenn auch kuriosen – Schreibtechniken für wissenschaftliche Texte. Sie alle begleiten mich schon seit vielen Jahren durch verschiedenste Textprojekte.
Und ich bin überzeugt: auch die Arbeit an DEINEN Texten kann dadurch zielgerichteter, klarer werden – und dabei sogar noch mehr Spaß machen!
Welche davon probierst du als erste aus? 🙂