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Schreibstrategien und -techniken
15.02.2022

Wissenschaftliche Texte richtig exzerpieren – Eine Anleitung für die Dissertation

 

Schreibst du eine wissenschaftliche Arbeit wie eine Dissertation, spielt darin naturgemäß auch die Auseinandersetzung mit Fachliteratur eine entscheidende Rolle.

Kein Wunder, dass es also zahlreiche Empfehlungen dazu gibt, wie die einschlägige Literatur zu einem Thema sinnvoll aufbereitet werden kann, um irgendwann selbst über dieses Thema schreiben zu können.

Gewissermaßen als Zwischenstufe zwischen Lesen und Schreiben wird dabei häufig das Exzerpieren wissenschaftlicher Texte empfohlen, also das systematische Aufbereiten von fremden Texten, indem ihre wesentlichen Aussagen untersucht und zusammengefasst werden. Und auch als Schreibcoach empfehle ich jedenfalls, Textexzerpte zu erstellen!

ABER ich sehe dabei oft die gleichen zwei Fehler. Sie führen dazu, dass – trotz der besten Intentionen beim Exzerpieren – die Arbeit mit Fachliteratur unkontrolliert ausufert und die eigene Textproduktion erschwert wird.

In diesem Artikel stelle ich dir diese beiden Fehler vor und zeige dir eine Lese- und Exzerpiermethode für wissenschaftliche Texte, mit der du wirklich Herr bzw. Frau über deine Fachlektüre wirst!

In diesem Artikel zeige ich dir:

  • welche Vorarbeit es braucht, um Texte sinnvoll und gewinnbringend exzerpieren zu können,
  • was ein Textexzerpt von einer Textzusammenfassung unterscheidet
  • und wie du mit der richtigen Vorgehensweise MeisterIn im Exzerpieren von Fachliteratur wirst.

Fehler #1: Du exzerpierst, um dir ein neues Forschungsfeld zu erschließen.

 

Dieser Fehler fußt auf einem weit verbreiteten Missverständnis: das Exzerpieren dient nicht dazu, die gesamte Literatur, die du zu einem Thema findest, zu sichten und zu sortieren und dir einen ersten Überblick darüber zu verschaffen.

Dich von Tag 1 deines Forschungsprojektes an mit jedem Werk, das dir in die Finger kommt, so ausführlich auseinanderzusetzen, wird nämlich vor allem eines bringen: viel Frust angesichts verlorener Zeit.

Warum ich das so sage?

Um fundiert entscheiden zu können, was du aus der Literatur überhaupt benötigst, welche Werke du wirklich genau lesen musst, welche Textpassagen innerhalb dieser Werke besonders relevant sind, musst du zuerst wissen, wohin es mit deiner Forschung insgesamt gehen soll. Wie du deinen fachlichen Zugang eingrenzt. Und worauf du dich hier in dieser Arbeit fokussieren wirst.

Nur so kannst du aus den Unmengen an Literatur und Quellen, die dir bei deinen Recherchen sicherlich unterkommen werden, eine sinnvolle Auswahl und Eingrenzung treffen. Und nur so wirst du auch innerhalb einzelner Werke die wirklich wertvollen Inhalte und Passagen ausfindig machen können.

Bevor du dich also mit dem gezückten Textmarker in die Lektüre von hunderten Werken stürzt, solltest du dir Zeit nehmen, einmal einen soliden Überblick über dein Thema zu gewinnen.

Jetzt geht es erst einmal darum, möglichst viele Eindrücke zu deinem Thema zu gewinnen, verschiedene Forschungszugänge dazu kennenzulernen und verschiedene Fragen, Theorien, Modelle, Lücken und Ansätze auszuloten, die du in deiner eigenen Forschung weiterverfolgen könntest.

Davon ausgehend werden sich deine Fragestellung und die methodische Umsetzung deiner Forschung immer klarer festmachen und eine erste inhaltliche Gliederung für den Text deiner Dissertation aufstellen lassen.

Und erst JETZT kannst du auch mit einem klareren Blick festlegen, welche der Werke, die du vorab gesichtet und überflogen hast, tatsächlich relevant sind und detailliert gelesen und exzerpiert werden müssen. Wie du diesen Weg zurücklegst und deine wissenschaftliche Literatur erstmal sichtest und sortierst, erkläre ich dir noch ausführlicher hier.

Diese fundierte Vorarbeit ist extrem wertvoll –nicht nur, um später tatsächlich nützliche Exzerpte erstellen zu können. Sondern vor allem, um deine Zeit und Nerven zu schonen und dich nicht mit tage-, wochen- oder sogar monatelanger Literaturverarbeitung zu quälen, die für deine eigentliche Forschungsarbeit gar nicht relevant sein wird.

Wir halten an dieser Stelle also einmal fest: deine Arbeit mit Fachliteratur beginnt nicht mit dem Exzerpieren – das Exzerpieren ist vielmehr der krönende Abschluss eines komplexen Prozesses von Sichten, Auswählen und Sortieren der Literatur.

Fehler #2: Du schreibst mit deinem Exzerpt eine Zusammenfassung des Originaltextes.

 

Im ersten Teil hast du erfahren, warum du – schon aus Gründen der Arbeitsökonomie – nicht zu früh mit dem Exzerpieren beginnen willst. Exzerpiert wollen nur die wichtigsten Werke werden – jene, die auch direkt in deinen eigenen Text einfließen werden.

Und damit sind wir auch schon beim zweiten Fehler, den ich ganz häufig sehe: das Exzerpt wird als Zusammenfassung eines Originaltextes missverstanden – d.h. als systematische Aufarbeitung sämtlicher Inhalte, die dieser enthält.

Diese Auffassung kann verheerend sein und dich immer weiter von deinem eigentlichen Thema wegtreiben!

Denn nicht alles, was in einem fremden Text behandelt wird, ist auch tatsächlich für dich, deine eigene Fragestellung und die Ausrichtung deines eigenen Textes relevant.

Tatsächlich wird deine eigene Forschung mit den allermeisten Texten, die du liest, nur eine kleine Schnittmenge von Inhalten haben – manchmal vielleicht nur wenige Absätze oder gar nur eine einzige Information.

Und genau das ist entscheidend: denn bei der Arbeit mit Fachliteratur geht es eben nicht darum, alles, was andere schon geschrieben haben, aufzubereiten und in deinem eigenen Text zu verarbeiten.

Sondern darum, die genau richtige Auswahl an Inhalte zu treffen, die du aus fremden Werken brauchen wirst, um deinen individuellen Forschungszugang zu einem Thema zu untermauern und verständlich darzustellen.

Anstatt dich also über jedes gelesene Werk immer weiter vom Kern deiner eigentlichen Forschung wegtreiben zu lassen, willst du dich beim Exzerpieren bewusst fragen, was das Gelesene mit DEINEM Thema zu tun hat. Inwiefern es für dich und deinen eigenen Text relevant ist. Wie es einen Beitrag dazu leistet, deine Fragestellung besser beantworten zu können.

Das Exzerpieren von Fachliteratur hat entsprechend drei wesentlich Funktionen:

1.) die zentralen Aussagen von anderen AutorInnen zu einem Thema korrekt zu erfassen und wiederzugeben

2.) diese Aussagen in eine relevante Beziehung zu deinem sonstigen Wissen über das Thema zu setzen

3.) alles das stimmig und klar nachvollziehbar in deinem eigenen Text zusammenzuführen

Kurzum dient das Exzerpieren also dazu, Fachliteratur strukturiert und konzentriert für eine weitere Verarbeitung in deinem eigenen Text aufzubereiten.

Ein gutes Exzerpt ist nicht eine komplette Zusammenfassung eines fremden Textes, sondern eine Zusammenfassung dessen, was aus diesem Text für dich und deine eigene Forschung relevant ist – das ist ein ganz wichtiger Unterschied!

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Wie du beim Exzerpieren richtig vorgehst

 

Du hast nun zwei typische Fehler beim Exzerpieren kennengelernt, die du vermeiden willst. Aber was bedeutet das nun für deine eigene Arbeit mit Fachliteratur? Wie verfasst du vor diesem Hintergrund sinn- und wertvolle Textexzerpte?

Ich möchte dir dazu eine Lese- und Exzerpiermethode vorstellen, die ich selbst entwickelt habe: ILEA.

ILEA steht für

I        Inhalt grob erfassen

     Leitfragen definieren

     Exzerpte erstellen

     Abstract schreiben

Im Folgenden nehme ich dich durch die einzelnen Schritte mit und zeige dir, wie du die ILEA-Methode für deine eigene Lektüre und Textproduktion umsetzen kannst.

ILEA Schritt 1: Inhalt grob erfassen

Verschaff dir erst einmal einen überblicksartigen Eindruck von dem Werk, das du lesen willst – in der Regel wird das ein Buchkapitel, Paper, Fachartikel oder ähnliches sein.

Autor und Titel kennst du ja bereits. Sieh dir jetzt aber auch einmal bewusst an, welchen Umfang das Werk hat – d.h. mit wie viel Textmenge du dich hier auseinandersetzen wirst müssen.

Kontrolliere im nächsten Schritt, ob du dir noch einen etwas besseren Überblick über den zu erwartenden Aufbau und Inhalt des Textes verschaffen kannst. Gibt es z.B. aussagekräftige Zwischenüberschriften im Text? Grafiken? Aufzählungen?

Überfliege den Text einmal ganz rasch, indem du nur die ersten 1-2 Sätze jedes Absatzes liest und so die grobe Struktur des Textes erfasst. (Es reicht absolut aus, dir für diesen ersten Schritt fünf bis maximal zehn Minuten Zeit zu nehmen!)

ILEA Schritt 2: Leitfragen definieren

Lege ausgehend von diesem ersten Eindruck des Werkes nun dein konkretes Leseziel fest, indem du Leitfragen zum Text formulierst.

Was soll der Text für dich klarer machen oder näher beleuchten? Wozu erhoffst du dir gerade hier wichtige Informationen zu finden?

Notiere dir deine Leitfragen auf Post-its oder Karteikarten, damit du sie beim Lesen gut im Blick behältst.

ILEA Schritt 3: Exzerpte erstellen

Jetzt geht es ans tatsächliche Exzerpieren. Nimm dafür am besten zwei Blätter Papier zur Hand, um deine Lesenotizen festhalten zu können.

Das eine Blatt dient dazu, die wesentlichen Aussagen und Inhalte zu notieren, die du aus dem Text mitgenommen hast, das zweite Blatt dazu, deine eigenen Kommentare, Gedanken und Assoziationen zum gelesenen Text festzuhalten.

Lies das Werk nun aufmerksam durch und mache dir auf dem ersten Blatt Notizen, wann immer du auf Inhalte gestoßen bist, die für dein Leseziel relevant sind. Das können Thesen oder Aussagen des/der AutorIn sein, Ergebnisse, Quellen oder Daten, die der/die AutorIn heranzieht oder auch interessante Fragen, die im Text aufgeworfen werden.

Wenn du auf Formulierungen stößt, die du unbedingt im Wortlaut, d.h. als Direktzitat weiterverwenden willst, schreib diese vollständig heraus.

Achte bei allen Notizen darauf, dir immer auch die Seitenzahl zu notieren, auf der die entsprechende Textpassage zu finden ist!

Parallel dazu nutzt du das zweite Blatt, um deine eigenen Anmerkungen zum Text festzuhalten. Welche Einwände, Assoziationen oder Ideen hast du zum Gelesenen? Wie lässt sich das Gelesene mit deinem sonstigen Wissen über das Thema in Verbindung bringen? Inwieweit verändert oder erweitert der gelesene Text deine bisherige Sicht auf die Dinge?

Diese zweigleisigen Notizen sind empfehlenswert, um nicht zu eng am fremden Text klebenzubleiben und in deinem eigenen Text nur emotionslos Fachmeinungen anderer AutorInnen aneinander zu puzzeln.

In deiner Dissertation geht es schließlich darum, wie DU als ExpertIn bestimmte Inhalte und Informationen in Beziehung zueinander setzt. Genau diese Frage solltest du dir also schon beim Lesen stellen und in deinen Exzerpten festhalten.

Deine Lesenotizen kannst du übrigens aufschreiben, wie es für dich stimmig ist – ich arbeite hier gerne in Form von Mindmaps, d.h. ich lege meine Notizen im Uhrzeigersinn von einem zentralen Schlagwort aus an. Es spricht aber natürlich auch nichts dagegen, deine Notizen listenartig untereinander festzuhalten, wenn du sie so übersichtlicher findest.

 

ILEA Schritt 4: Abstract schreiben

Wenn du den gesamten Originaltext gelesen und deine Notizen festgehalten hast, leg den gelesenen Text bei Seite. Sieh dir nun deine Leitfragen und deine Exzerpte noch einmal in Ruhe an. Gibt es noch etwas, das du ergänzen willst?

Schreibe zuletzt ausgehend von deinen Exzerpten und Lesenotizen in eigenen Worten ein kurzes Abstract darüber, was du aus der Lektüre mitgenommen hast. Inwieweit wurde dein Leseziel erreicht: hast du die gesuchten Informationen gefunden? Wurden deine Fragen beantwortet und geklärt? Was hat der Text in Hinblick auf deine konkreten Fragen geliefert?

Ich beginne Abstracts wie diese gerne mit „Autor X untersucht / zeigt / beleuchtet…“ und greife den wichtigsten Punkt auf, der mir aus dem Werk im Kopf geblieben ist. Im Weiteren schreibe ich möglichst in einem Rutsch entlang meiner Erinnerungen sowie meiner Lesenotizen, bis ich alle relevanten Inhalte des gelesenen Werks in eine erste Fließtextform übertragen habe. Wo nötig, ergänze ich aus meinen Exzerpten gleich noch die passenden Verweise und Seitenangaben.

Ein solches Abstract kannst du in unterschiedlicher Form weiterverarbeiten – oft wird es möglich und sogar sehr sinnvoll sein, Textpassagen des Abstracts direkt in den Text deiner Dissertation zu übernehmen. In anderen Fällen wird es ausreichen, dass du dank der strukturierten Aufarbeitung eines fremden Textes nun wichtige Verweise oder Zitate in deinen eigenen Text einbetten kannst.

In jedem Fall wirst du sehen, wie du mit der Lese-Fokussierung der ILEA-Methode:

  • viel klarer erkennst, welche Inhalte und Passagen eines Fremdtextes für dich und deine konkreten Fragen wirklich relevant sind
  • den Überblick im Dschungel deiner Literatur bewahrst, anstatt dich von jedem gelesenen Werk in immer neue inhaltliche Richtungen drängen zu lassen
  • in kürzerer Zeit das Wesentliche aus gelesenen Werken erfasst und für deinen eigenen Text aufbereitet hast
  • und wertvolle Textbausteine erstellst, die du wissenschaftlich sauber und garantiert plagiatsfrei in deiner Dissertation verarbeiten wirst können.

Du willst mehr darüber erfahren, wie aus deinen ersten Textexzerpten ein umfassender wissenschaftlicher Text wird? Wie sich das Exzerpieren von Fachliteratur mit anderen wissenschaftlichen Textproduktionsstrategien verknüpfen lässt, um richtig gelungene Fachtexte zu schmieden?

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