Spontanes vs. planendes Schreiben – oder: Wie du beim Schreiben deiner Dissertation vorgehen solltest
Wahrscheinlich hast auch du sie im Lauf deiner wissenschaftlichen Karriere schon einmal gehört …
Die gut gemeinten Ratschläge von LehrveranstaltungsleiterInnen, BetreuerInnen und KollegInnen zum „richtigen“ wissenschaftlichen Schreiben.
Deine Kollegin zum Beispiel hat da dieses besondere System ihre Notizen zu sortieren, deine Doktormutter schwört auf eine ausgefeilte Gliederung als Start in ein neues Textprojekt und dein bester Freund füllt erst vierzig Seiten in seinem Forschungsjournal, bevor er sich an den eigentlichen Text macht.
Und alle von ihnen beharren darauf, dass gerade IHRE Vorgehensweise die beste für ein erfolgreiches Schreibprojekt ist.
Du hast dir ihre Ratschläge natürlich zu Herzen genommen und versucht, alles genau so umzusetzen, wie es dir empfohlen wurde.
Aber was bei den anderen so leicht und vielversprechend erscheint, erzeugt bei dir nur Chaos und Frust. Irgendwie funktionieren die Strategien der anderen für dich einfach nicht.
Was machst du nur falsch?!
Wenn du diese Erfahrung schon einmal gemacht hast, dann habe ich eine beruhigende Nachricht für dich: du machst mit großer Wahrscheinlichkeit gar nichts falsch!
DIE EINE RICHTIGE Vorgehensweise beim wissenschaftlichen Schreiben gibt es nämlich nicht – auch wenn dein wissenschaftliches Umfeld dir das mitunter weismachen will. Es gibt verschiedenste Vorgehensweisen beim Schreiben eines (wissenschaftlichen) Textes und keine davon ist per se richtig oder falsch.
Nur wenn du also verschiedene Vorgehensweisen kennst und so bewusst die für dich passenden wählen kannst, bist du für jede Schreibaufgabe und -situation optimal gewappnet – und kommst wirklich erfolgreich in deinem Projekt voran!
In diesem Artikel zeige ich dir:
- welche grundsätzlich unterschiedlichen Typen von Schreibenden es gibt,
- warum DU wahrscheinlich eher zu dem einen oder dem anderen Typ neigst,
- und wie du die besten Strategien beider Typen in deinem Schreiben kombinierst.
Welche Schreibtypen gibt es überhaupt?
Beim (wissenschaftlichen) Schreiben lassen sich zwei wesentliche Typen unterscheiden: spontane und planende Schreibtypen – im Englischen auch als „bottom up“ und „top down“ Typen bezeichnet. (Tatsächlich lassen sich Schreibtypen noch viel differenzierter darstellen, aber für unseren Zweck hier reicht es erst einmal, diese beiden „Haupttypen“ zu kennen.)
Was der Unterschied dieser beiden Typen ist?
- Spontane Schreibende (bottom up) entwickeln schreibend ihre Ideen und strukturieren den Text nachträglich im Zuge der Überarbeitung. Meist entsteht bei diesem Vorgehen der Text also ohne viel Vorbereitung „aus dem Bauch heraus“ und wird erst später umgearbeitet, ergänzt, gekürzt und zu seiner finalen Form feingeschliffen.
- Planende Schreibende (top down) gehen genau anders herum vor: sie beginnen damit, eine detaillierte Gliederung für den Text zu entwerfen und arbeiten danach ihren Text schrittweise entlang dieser Gliederung aus.
Beim Lesen dieser Darstellung hast du wahrscheinlich schon kurz reflektiert, welcher dieser beiden Typen DIR mehr entspricht. Schreibst du deine Texte eher spontan oder planend?
Warum du beim wissenschaftlichen Schreiben eher so und nicht anders vorgehst, kann tatsächlich viele Gründe haben.
Zu einem gewissen Grad ist dein Schreibverhalten von deinem individuellen Charakter geprägt. Generell neigt jedeR von uns entweder dazu, Vorgehen präzise vorab zu planen oder die jeweils nächsten Schritte erst direkt aus dem Tun heraus zu entwickeln. Und auch im Schreiben wird sich diese Wesensart widerspiegeln.
Dein Vorgehen beim wissenschaftlichen Schreiben ist aber nicht nur persönliche Typsache.
Es ist auch von den Empfehlungen geprägt, die du auf deinem Weg in der Wissenschaft erhalten hast, sowie deinen eigenen Schreiberfahrungen, die du in früheren Textprojekten gesammelt hast.
Über die Jahre hast du dir also ein individuelles Vorgehen für das Verfassen von wissenschaftlichen Texten angeeignet, mit dem du für dich zufriedenstellende Ergebnisse erzielst. Mit anderen Worten: ein Vorgehen, mit dem du unter möglichst geringem Zeit- und Nervenaufwand einen möglichst hochwertigen Text produzieren kannst.
Und daran ist erst einmal nichts verkehrt!
Solange du dein Schreiben als motivierend, ergiebig und effizient empfindest und mit deinem Vorankommen in wissenschaftlichen Textprojekten zufrieden bist, bleib dabei – auch wenn manche KollegInnen, KommilitonInnen oder BetreuerInnen in ihrem eigenen Schreiben anders vorgehen als du (und deine Vorgehensweise vielleicht als „falsch“ bewerten).
Was aber wichtig ist: wenn du beim Schreiben wiederholt mit Frust, Ineffizienz oder Blockaden kämpfst, solltest du dein Schreibverhalten einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Vielleicht ist dein bisheriges Vorgehen beim wissenschaftlichen Schreiben nämlich nur vermeintlich das Beste für dich. Es könnte sein, dass ein anderes Vorgehen für dich und deine wissenschaftlichen Textprojekte besser geeignet ist und du es nur (noch) nicht weißt!
Sehen wir uns also das spontane und das planende Schreiben einmal näher an und finden gemeinsam heraus, wie du dir das Beste aus diesen beiden Welten zunutze machen kannst – egal, welcher Schreibtyp du im Moment bist oder zu sein glaubst.
Was du vom spontanen Schreibtyp lernen kannst
Zur Erinnerung: spontane Schreibende entwickeln ihren Text aus dem aktiven Schreiben heraus – so kommen ihnen die besten Ideen und sie erkennen erst mit der Zeit klarer, wohin der Text eigentlich verlaufen soll.
Das Schreiben wird von ihnen oft als „leicht“ empfunden, als Flow-Zustand, in dem sie die eigenen Gedanken einfach entspinnen können. Sie formulieren ihre Sätze so, wie sie ihnen gerade in den Sinn kommen und lassen sich von ihrem natürlichen Gedankenstrom durch den Text leiten.
Wenn du selbst oft in deinem Text stockst und Schwierigkeiten dabei hast, Gedanken und Aussagen flüssig zu Papier zu bringen, solltest du einmal die Strategien des spontanen Schreibens näher kennenlernen.
Mit dieser Schreibhaltung kannst du nämlich wunderbar deine persönliche Schreibstimme und Ausdruckskraft weiterentwickeln. Du lernst (wieder), authentisch und in eigenen Worten das zu sagen, was du SAGEN willst, anstatt ewig mit den „richtigen“ Worten zu ringen.
Mein Praxis-Tipp:
Beginn deinen Arbeitstag mit einer 5-10 minütigen Schreibübung im Stil des spontanen Schreibens. Ein kurzer, persönlicher Text – nur für dich, um deine Gedanken zu sortieren und dich für den Tag warm zuschreiben.
Wie geht es dir gerade? Woran willst du heute arbeiten? Was hat dich zuletzt richtig gefreut oder geärgert?
Setz dir einen Timer und schreib einfach drauf los, was dir gerade in den Sinn kommt, ohne dich jetzt viel um die Qualität, den Aufbau oder die Form deines Textes zu kümmern. (Sieht ja eh niemand 😉 )
Ist die Zeit abgelaufen, legst du das Geschriebene beiseite und machst dich an deine Arbeit.
Du wirst sehen, wie dieses regelmäßige freie Schreiben sich positiv auf die Schreibhaltung auch in deinem Dissertationsprojekt auswirken wird. Du lernst wieder, auf deine eigene Ausdruckskraft zu vertrauen und deinen inneren Kritiker zumindest zeitweise in den Hintergrund zu verbannen. (Warum das so wichtig ist und wie du die Haltung des freien Schreibens auch beim Schreiben deines Dissertationstextes anwenden kannst, zeige ich dir übrigens hier!)
So werden dir auch wissenschaftliche Texte zunehmend leichter von der Hand gehen und dein Schreiben wird wieder freier und flüssiger!
Was du vom planenden Schreibtyp lernen kannst
Das planende Schreiben gilt – anders als das spontane Schreiben – oft als Ideal im wissenschaftlichen Arbeiten.
Planende Schreibende entwickeln erst eine ausgefeilte Gliederung für ihren Gesamttext, bevor sie sich ans Schreiben machen. Sie ordnen ihre Unterlagen und Literatur und sortieren sorgfältig die wichtigsten Quellen, Daten und Materialien.
Erst wenn alle diese Vorarbeiten geleistet sind, beginnen sie mit der Textproduktion – und orientieren sich dabei immer an dem Grobgerüst für ihren Text, das sie zuvor erstellt haben.
Wenn du also mitunter das Gefühl hast, dich in deinen eigenen wissenschaftlichen Texten zu verlieren und den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen, kannst du mit der Vorgehensweise des planenden Schreibens wieder die nötige Struktur in deinen Text bringen.
Mein Praxis-Tipp:
Verschaff dir im Rahmen einer Mindmap einmal einen groben Überblick darüber, worum es in deiner Gesamtarbeit oder einem einzelnen Kapitel oder Paper deiner Dissertation gehen soll. Welche wesentlichen Inhalte soll dein Text enthalten? Was hast du zu dem Thema schon herausgefunden oder an Informationen zusammengetragen? Wie hängen deine zentralen Überlegungen miteinander zusammen?
Nimm dir dafür am besten ein großes Blatt Papier zur Hand und notiere in der Mitte das Thema, zu dem du deine Gedanken sammeln willst. Anschließend kannst du sternförmig die wichtigsten Inhalte sammeln, die zu diesem Thema gehören und Teil deines Textes werden müssen.
Wenn du möchtest, kannst du zu jedem Strang noch wichtige Quellen, Literaturangaben oder Gedanken notieren, die du in diesem Zusammenhang jedenfalls behandeln willst.
Mit diesem groben Plan vor Augen kannst du dich jetzt ans Schreiben machen.
So stellst du sicher, dass du in deinem Text nichts Wichtiges vergisst. Du sorgst von Anfang an dafür, dass dein Text einen klaren roten Faden verfolgt und du dich nicht mehr so leicht in deinem eigenen Textchaos verirrst.
Du willst deinen ganz individuellen Schreibtyp als WissenschaftlerIn herausfinden und den Schreibprozess deiner Dissertation von nun an mit Leichtigkeit meistern?
Spontanes vs. planendes Schreiben – Fazit
Du siehst: sowohl das spontane als auch das planende Schreiben haben ihre individuellen Vorteile und sollten im Rahmen eines wissenschaftlichen Projekts immer in Kombination zum Einsatz kommen.
Die Strategien des spontanen Schreibens kannst du nutzen, um:
- dich vor dem Einstieg in die eigentliche Textarbeit warm zuschreiben
- neue Ideen und Gedanken zu deinem Thema zu entwickeln
- deine eigene Schreibstimme zu stärken
- deinen Schreibfluss anzukurbeln
- sowie das Schreiben und Überarbeiten deines Textes bewusst voneinander zu trennen.
Die Strategien des planenden Schreibens helfen dir:
- einen Gesamtüberblick über dein Thema zu gewinnen
- Gedanken zu sortieren
- Inhalte, die du verschriftlichen willst, zu strukturieren und in die richtige Abfolge zu bringen
- einen roten Faden für deinen Text zu entwickeln
- und immer zu wissen, wo du gerade stehst.
Mit der richtigen Kombination dieser unterschiedlichen Vorgehensweisen sorgst du also dafür, dass du dich weder im endlosen Strukturieren, noch im planlosen Drauflos-Schreiben verlierst.
Du stellst sicher, dass du dein Schreiben bewusst und aktiv steuerst und genau so vorgehst, wie es JETZT in deinem Schreibprojekt sinnvoll ist.
Und das Beste?
Du löst dich davon, dass wissenschaftliches Schreiben immer schwarz oder weiß sein muss – und findest deine ganz eigene Schreibpraxis!