Deine Dissertation überarbeiten: 1×1 des wissenschaftlichen Textstylings
In meinem Blogartikel „Angst vor dem leeren Blatt? Wie du anfängst deine Dissertation zu schreiben“ habe ich dir gezeigt, dass ein guter wissenschaftlicher Text immer in mehreren Schritten entstehen sollte – und warum es vor allem beim Einstieg in die Textproduktion so wichtig ist, sich von überhöhten Ansprüchen zu lösen und einfach mal „drauflos“ zu schreiben.
So weit so gut, jetzt stehst du also mit einer ersten, sehr rohen Textversion eines Dissertationskapitels da. Und die ist von „abgabereif“ gefühlt kilometerweit entfernt.
An manchen Stellen warst du viel zu ausschweifend, deine wichtigste Argumentation kommt noch kaum zur Geltung und stilistisch – oh weh, da magst du gar nicht so genau hinsehen. Wie machst du daraus ein seriöses Textprodukt?
Mit den richtigen Schritten ist das gar nicht schwer – hier erfährst du, wie es geht!
In diesem Artikel zeige ich dir:
- warum du beim Überarbeiten eines Textes erst einen Schritt zurück machen musst, bevor du richtig starten kannst,
- welche drei Ebenen von Textüberarbeitung es gibt – und in welcher Reihenfolge du sie durchlaufen solltest
- und wie du deinen Text für seine angedachten LeserInnen bestmöglich aufbereitest.
1. Distanziere dich von deinem Text
Erinnerst du dich noch an die Schulzeit, als zu Beginn der Stunde eine Textaufgabe gestellt wurde, du anschließend 50 Minuten Zeit zum Schreiben hattest und dann einen fertigen Text abgeben musstest?
So ähnlich werden auch noch an der Universität viele studentische Arbeiten verfasst: in den letzten Tagen vor der Abgabe manisch in die Tasten getippt, einmal auf die gröbsten Flüchtigkeitsfehler quergelesen und dann hochgeladen. 23:57 – puh, mal wieder geschafft!
Spätestens eine Dissertation lässt sich – schon allein aufgrund ihres Umfangs – auf diesem Weg aber nicht mehr produzieren. Schreiben und Überarbeiten müssen nun eine fruchtbare Symbiose miteinander eingehen.
Und die wichtigste Zutat dafür ist: Distanz zum eigenen Text.
Ein Text, den du vor 10 Minuten erst geschrieben hast, lässt sich nicht gewissenhaft überarbeiten. (Das hat in Wahrheit auch schon in der Schule nicht funktioniert…)
Du bist zu diesem Zeitpunkt als AutorIn noch viel zu nahe am Text dran und hast viele Passagen wahrscheinlich noch im Wortlaut im Kopf. Du überfliegst deinen Text eher als ihn wirklich zu lesen. Du ergänzt im Kopf, was gar nicht dasteht und präzisierst für dich selbst, was eigentlich missverständlich oder unklar ist.
Kurzum: du kannst schlichtweg noch keine objektive Sicht auf deinen Text werfen – aber genau die braucht es für seriöse Textarbeit.
Mein erster Tipp für seriöse Textüberarbeitung ist also: lass deinen Text immer etwas liegen, bevor du dich an seine Überarbeitung machst. Mindestens zwei Tage, besser eine Woche lang.
So wird der Text für dich als AutorIn wieder etwas fremd und du nimmst Schwachstellen aber auch gelungene Passagen darin viel klarer wahr.
2. So geht Textüberarbeitung in 3 Schritten
Seriöses Textstyling durchläuft mehrere Ebenen: inhaltlich – strukturell – sprachlich. Und in dieser Reihenfolge – von der höchsten zur niedrigsten Ebene – solltest auch du die Überarbeitung deines Textes angehen. (Ja, die Rechtschreibkorrektur ist hier noch lange nicht an der Reihe!)
Konzentriere dich beim ersten Durchlesen deines Textes auf die zentralen Inhalte, die du vermitteln willst. Welche Informationen wolltest du hier vermitteln? Werden deine Kernaussagen klar und deutlich? Was müsste noch ergänzt werden? Wo schweift der Text zu weit ab und könnte gestrafft werden?
Erst wenn auf dieser inhaltlichen Ebene alles vollständig ist, kannst du eine Ebene tiefer gehen, nämlich in den Aufbau und die Struktur des Textes. Lässt sich ein klarer roter Faden erkennen? Könnten deine Ausführungen in eine noch bessere Reihenfolge gebracht oder durch Zwischenüberschriften oder klarere Übergänge präzisiert werden? Sind die Absätze logisch gesetzt?
Steht auch dieses Konstrukt solide und zuverlässig, kannst du dich der sprachlichen Ebene widmen. Gibt es überlange Sätze, die gekürzt oder geteilt werden sollten? Welche Fachbegriffe könnten noch näher erläutert, oder durch Synonyme ersetzt werden? Wo kannst du den Zusammenhang zwischen einzelnen Gedanken sprachlich klarer machen? Gibt es überflüssige Füllwörter, die gestrichen werden können? Wie könntest du noch prägnanter in deiner Wortwahl werden?
Du willst deinen ganz individuellen Schreibtyp als WissenschaftlerIn herausfinden und den Schreibprozess deiner Dissertation von nun an mit Leichtigkeit meistern?
Eine Rechtschreibkorrektur – die oft als Synonym für die gesamte Textüberarbeitung behandelt wird – kommt erst ganz zum Schluss, wenn alle anderen Ebenen abgeschlossen sind. Du siehst: schon davor ist einiges an Textstyling zu tun. Vernachlässige diese Schritte nicht!
Pro Tipp: Die unterschiedlichen Ebenen auseinander zu halten, kann schwierig sein und dir werden beim Lesen immer wieder nötige Eingriffe auffallen, die eigentlich jetzt noch nicht an der Reihe sind.
Anstatt dich davon ablenken und irritieren zu lassen, arbeite doch mit einfachen Korrekturzeichen oder Symbolen. So setzt du dir selbst eine Notiz, wo zu einem späteren Punkt in der Überarbeitung noch etwas zu tun sein wird, aber behältst trotzdem die richtige Reihenfolge der Textüberarbeitungsschritte bei.
3. Versetz dich in deine LeserInnen
Dein Rohtext ist weitgehend aus deiner persönlichen AutorInnenperspektive entstanden – DU hast festgelegt und formuliert, was du mit deinem Text vermitteln willst und worum es dir hier geht.
Und das ist auch absolut richtig so!
Jetzt ist es aber an der Zeit einen neuen Blickwinkel einzunehmen, nämlich den deiner gedachten LeserInnen. Für dich ist nach monate- oder jahrelanger Arbeit an deinem Thema vieles schon ganz selbstverständlich – für deine LeserInnen aber nicht!
Ein Text, der die AdressatInnenperspektive nicht ausreichend berücksichtigt, kann also schnell zu voraussetzungsreich und damit schwer verständlich werden.
Frag dich beim Überarbeiten deiner Dissertation immer wieder bewusst: Wen willst du mit deinem Text erreichen? Was brauchen diese AdressatInnen von dir und deinem Text? Welche Anliegen, Erwartungen und Fragen solltest du berücksichtigen? Und wie kannst du dazu beitragen, dass deine Ausführungen und Argumentationen bestmöglich verstanden werden?
Um das zu schaffen, ist es empfehlenswert, dir beim Überarbeiten deines Textes künftige LeserInnen auf deiner Augenhöhe vorzustellen: eine Kollegin oder einen Kommilitonen etwa, die an deiner Arbeit wohlwollend interessiert, aber in dem Thema selbst keine ExpertInnen sind.
Mit diesen Personen vor deinem inneren Auge kannst du schnell und einfach beurteilen, wo du in deinem Text noch weiter in die Tiefe gehen musst, wo du wichtige Ausführungen übersprungen hast oder wo etwas unklar geblieben ist.
Frag dich beim Lesen und Überarbeiten deines Textes also immer wieder „Würde Susi (oder wer eben dein/e gedachte/r LeserIn ist) das hier verstehen? Was bräuchte Anton an dieser Stelle, um meinen Ausführungen noch besser folgen zu können? Was sollte ich für Maximilian noch ausführlicher beleuchten oder erklären?“
Du bist dir unsicher, ob du Susis/Antons/Maximilians/… Perspektive richtig eingeschätzt und adäquat in deinem Text berücksichtigt hast? Dann frag sie!
Peer-Feedback ist immer noch eines der wertvollsten Mittel um einen Text für seine AdressatInnen optimal aufzubereiten. Aus einer kurzen Peer-Feedback-Runde wirst du oft tiefere Erkenntnisse über deinen Text, seine Stärken und Schwächen, sowie über sein Überarbeitungspotenzial mitnehmen, als aus stundenlangem einsamen Grübeln hinter dem Schreibtisch!
So, das waren sie: meine wertvollsten Tipps für deine Textüberarbeitungsstrategie. Ich nenne sie liebevoll auch meine „DISS 1A“-Strategien 😉
- Distanz zum Text herstellen
- Inhaltliche Ebene überarbeiten
- Strukturelle Ebene überarbeiten
- Sprachliche Ebene überarbeiten
- 1 AdressatIn in den Fokus rücken
So schaffst auch du das Überarbeiten und Finalisieren deines wissenschaftlichen Textes mit Leichtigkeit!